Net Zero Industry Act

Vorläufige Einigung beim Net Zero Industry Act

Im Februar 2024 erzielten Europäisches Parlament und Rat eine politische Einigung zum Net Zero Industry Act.

 

Hintergrund
In 2022 legte die amerikanische Regierung den Inflation Reduction Act vor, der Steuererleichterungen und Förderungen für grüne Technologien in den USA in historischem Ausmaß einführte. In der EU löst das eine Diskussion um die Gefährdung des europäischen Wirtschaftsstandorts aus, was die Europäische Kommission dazu führte im März 2023 den Vorschlag für einen Net Zero Industry Act(siehe Europaspiegel Juni 2023) vorzulegen. Ähnlich dem amerikanischen Inflation Reduction Act versucht das Gesetzesvorhaben, die grüne Transformation durch die Förderung von Net-Zero-Technologies (Netto-Null-Technologien), die keine oder geringe Emissionen produzieren oder einen Beitrag zum grünen Wandel leisten, insbesondere durch die Reduzierung von CO2-Emissionen oder durch die Entnahme von CO2, zu unterstützen. Diese Schlüsseltechnologien sollen beispielsweise mit beschleunigten Genehmigungsverfahren und priorisierter Finanzierung gefördert werden.

Im Vergleich zu anderen EU-Dossiers wurde das ordentliche Gesetzgebungsverfahren beim Net Zero Industry Act in Rekordzeit durchlaufen – zwischen der Vorlage des Kommissionsentwurfs und der vorläufigen Einigung vom Februar 2024 verging weniger als ein Jahr. Der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments hat den Kompromiss bereits am 22. Februar 2024 formell angenommen, es wird daher nur noch auf die Bestätigung durch das Plenum des Europäischen Parlaments und die Mitgliedstaaten im Rat der EU gewartet, bevor die Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden und in Kraft treten kann.


Wesentlicher Inhalt
Entscheidende Änderungen am Kommissionsvorschlag haben sich nur teilweise durchsetzen können. Änderungen bei den zu fördernden Technologien gab es beispielsweise durch die Streichung der Bezugnahme auf die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, RED) (siehe Europaspiegel Juni 2023). Es wurden daher nicht alle Produktionsmöglichkeiten von erneuerbaren Energien, die in der RED aufgeführt sind, in den Text der vorläufigen Einigung aufgenommen – Erneuerbare Energie aus Biomasse aber schon. Andere Recyclingtechnologien, deren Einbezug das Europäische Parlament gefordert hatte, wurden nicht erfasst.

Darüber hinaus wurde auch die Verkürzung der Genehmigungsverfahren nicht durchgesetzt. Für Projekte zur Fertigung von Netto-Null-Technologien mit einer jährlichen Fertigungskapazität von mehr als einem Gigawatt ist für Genehmigungsverfahren nun eine Höchstdauer von 18 Monaten vorgesehen, bei unter einem Gigawatt beträgt diese Frist 12 Monate. Überdies wurde auch die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten, sogenannte „Net Zero Valleys“, die verbesserte Rahmenbedingungen ähnlich den „Acceleration Areas“ in der RED bieten, beschlossen.

Bei öffentlichen Ausschreibungen für Technologien, sollen Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, sowohl Vorqualifikations- als auch Zuschlagkriterien, die nicht preisbezogen sind, sondern beispielsweise die ökologische Nachhaltigkeit oder den Beitrag zur Innovation quantifizieren, anzuwenden. Zusätzlich müssen die Mitgliedstaaten ein jährliches Ausschreibungsvolumen von mehr als sechs Gigawatt erneuerbarer Energien sicherstellen.

Zusätzliche finanzielle EU-Mittel sind, wie schon im Kommissionsvorschlag, auch in der politischen Einigung von Rat und Europäisches Parlament nicht vorgesehen.


Bewertung
Die vorläufige Einigung über den Net Zero Industry Act wird aus Sicht des BDE nicht ausreichen, um den Industriestandort Europa im weltweiten Vergleich signifikant zu stärken. Dazu hätte es sowohl einer größeren Offenheit in Bezug auf zu fördernde grüne Schlüsseltechnologien als auch kürzerer Fristen für Genehmigungsverfahren bedurft. Die Tatsache, dass der Bezug zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie vollständig entfernt und bestimmte Recyclingtechnologien nicht mitaufgenommen worden sind, stößt auf Kritik des Verbandes. Gerade diese Technologien tragen zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft und damit zur Erreichung der Klimaziele, bei. Sie hätten daher unbedingt miteinbezogen werden müssen. Jedoch begrüßt der BDE, dass die Produktion von erneuerbarer Energie aus Biomasse als zu fördernde Technologie erfasst wurde.

Als großes Manko sieht der BDE dagegen wiederum die fehlende Bereitstellung finanzieller Mittel aus EU-Töpfen. Die vorläufige Einigung hat, wie der Kommissionsvorschlag und die Positionen der anderen Insitutionen, keine zusätzlichen Gelder bereitgestellt. Stattdessen setzt der Net Zero Industry Act auf eine größere Beteiligung der Mitgliedstaaten in Form von staatliche Beihilfen sowie von privaten Investoren. Beides ist zwar für eine effektive Förderung der grünen Technologien notwendig, aber gerade die staatlichen Beihilfen können zu einer Fragmentierung des EU-Binnenmarkts im Hinblick auf die für den grünen Wandel notwendigen Technologien führen. Die Bereitstellung von EU-Geldern wäre für den Ausbau notwendig gewesen. So muss bezweifelt werden, ob der Net Zero Industry Act die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt und tatsächlich zur Stärkung der EU im Bereich der grünen Technologien und zum Wandel der EU in eine klimaneutrale Wirtschaft entscheidend beitragen kann.

Enttäuscht wurde der BDE auch vom Kompromiss bei den Genehmigungsverfahren. An Stelle von kürzeren Fristen, die das Europäische Parlament gefordert hatte, einigte man sich auf 18 und 12 Monate – was die Ansiedlung von Net-Zero-Technologies in der EU beeinträchtigen wird. Aus Sicht des BDE wäre, gerade um die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Vergleich zu anderen Standorten zu verbessern, eine Entbürokratisierung und die merkliche Verkürzung der Genehmigungsverfahren notwendig gewesen.

 

Zeitplan
•  Abstimmung im Plenum: voraussichtlich am 11. April 2024 
•  Abstimmung im Rat: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024 
•  Finaler Rechtsakt: voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024 (laufende Legislaturperiode)

 

Download BDE/VOEB Europaspiegel Februar 2024

Michael Iordache

Legal Advisor, Europareferent - Wettbewerb, Binnenmarkt, Steuern und Abfallverbringung