Hintergrung
Am 26. Februar 2025 stellte die Europäische Kommission mit ihrer Mitteilung zum Clean Industrial Deal (CID) ein wegweisendes Projekt vor, das die kommende Legislaturperiode maßgeblich prägen wird. Die europäische Industrie steht vor der Herausforderung, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und gleichzeitig die Dekarbonisierung voranzutreiben. Der Clean Industrial Deal verbindet Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wachstum und soll eine nachhaltige sowie widerstandsfähige Industrie fördern. Besonders im Fokus stehen energieintensive Branchen und Clean-Tech-Sektoren. Die Strategie basiert auf sechs zentralen Säulen:
1. Bezahlbare Energie
2. Leitmärkte
3. Finanzierung
4. Kreislaufwirtschaft
5. Globale Märkte und internationale Partnerschaften
6. Qualifizierung von Fachkräften
Der Clean Industrial Deal wird als Nachfolger des Green Deal verstanden und knüpft an die Ziele der vorherigen Legislaturperiode an. Er bekräftigt die Klimaziele mit einer angestrebten Reduktion der Treibhausgasemissionen um 90% bis 2040 und erklärt die Kreislaufwirtschaft zur Priorität der nächsten fünf Jahre. Erklärtes Ziel ist es „die EU bis 2030 zum Weltmarktführer im Bereich der Kreislaufwirtschaft zu machen“.
Wesentlicher Inhalt
1. Bezahlbare Energie
Ein zentrales Anliegen des Clean Industrial Deal ist der Zugang zu kostengünstiger und nachhaltiger Energie, weswegen parallel der Aktionsplan für bezahlbare Energie veröffentlicht wurde. Die europäische Industrie ist im globalen Wettbewerb oft durch erheblich höhere Energiekosten benachteiligt. Um diesen Nachteil auszugleichen, setzt die EU auf verstärkte Elektrifizierung, den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und eine effizientere Netzinfrastruktur. Instrumente wie langfristige Stromabnahmeverträge (Power Purchase Agreements – PPA) und Differenzverträge (Contracts for Difference – CfD) sollen Investitionen in saubere Energiequellen attraktiver machen.
Zudem plant die EU, die Beihilferegeln für erneuerbare Energien bis Juli 2025 zu vereinfachen, um deren rasche Implementierung zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten sollen zusätzlich den Strompreis durch Steuererleichterungen für emissionsarme Energien senken. Hierzu wird die Europäische Kommission Leitlinien zur Steuerreduzierung veröffentlichen. Ein weiteres zentrales Element ist das „European Grid Package“, das die europäische Netzinfrastruktur optimieren und somit Energiekosten senken soll. Insgesamt plant die EU, 500 Millionen Euro in PPAs zu investieren und das „European Grids Package“ mit 1,5 Milliarden Euro zu unterstützen.
Genehmigungsverfahren sollen im Rahmen des „Industrial Decarbonisation Accelerator Acts“ vereinfacht werden. Dies baut auf Erfahrungen mit dem Net Zero Industry Act, der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und dem Critical Raw Materials Act auf. Auch der EU-Gasmarkt soll reformiert und vereinfacht werden, um die Energiepreise für die Industrie weiter zu senken.
2. Leitmärkte
Um Investitionen in klimafreundliche Produktion anzuregen, sollen gezielt Leitmärkte für saubere Technologien geschaffen werden. Die öffentliche Beschaffung soll als strategisches Instrument genutzt werden, um die Nachfrage nach emissionsarmen Produkten zu stärken. Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien sollen verstärkt in die Vergabe öffentlicher Aufträge einfließen, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Auch in der relevanten Produktgesetzgebung sollen entsprechende Kriterien verankert werden, etwa für kohlenstoffarmen Stahl und nachhaltige Batterien in Firmenwagen oder Gebäuden.
Zudem soll eine einheitliche Kennzeichnungspflicht für Umweltfreundlichkeit und Kreislauffähigkeit von Produkten etabliert werden. Auch die Wasserstoffproduktion wird gefördert: Die EU-Kommission plant einen weiteren Förderaufruf in Höhe von 1 Milliarde Euro.
3. Finanzierung
Die industrielle Transformation erfordert erhebliche Investitionen. Daher plant die EU die Einrichtung einer „Industrial Decarbonisation Bank“ mit einem Finanzierungsvolumen von über 100 Milliarden Euro. Zudem soll der EU-Innovationsfonds ausgebaut werden, um gezielt klimafreundliche Technologien zu fördern. Steuerliche Anreize, wie beschleunigte Abschreibungen für nachhaltige Investitionen und gezielte Steuergutschriften für umweltfreundliche Projekte, sollen Unternehmen dazu motivieren, in die grüne Transformation zu investieren.
Auch der kommende mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU soll genutzt werden, um die Dekarbonisierung weiter voranzutreiben, insbesondere durch eine zentrale Anlaufstelle, die den Zugang zu EU-Finanzierungen erleichtert. Zur kurzfristigen Unterstützung wird der Clean Industrial Deal mehr als 100 Milliarden Euro mobilisieren, um die Wettbewerbsfähigkeit der umweltfreundlichen Produktion in der EU zu verbessern. Dies schließt zusätzliche Garantien in Höhe von 1 Milliarde Euro im Rahmen des aktuellen MFR ein.
Zusätzlich wird die Kommission die Gründung einer Bank für industrielle Dekarbonisierung vorschlagen, die mit 100 Milliarden Euro aus dem Innovationsfonds, zusätzlichen Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem und der Überarbeitung von InvestEU finanziert werden soll.
Der neue Rahmen für staatliche Beihilfen im Rahmen des Clean Industrial Deal soll gezielt notwendige und angemessene staatliche Fördermaßnahmen ermöglichen, die private Investitionen ankurbeln. Er gibt den Mitgliedstaaten einen erweiterten Planungshorizont von fünf Jahren und bietet Unternehmen mehr Investitionssicherheit für Projekte, die zur Umsetzung der Ziele des Clean Industrial Deal beitragen. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, ihre Unternehmenssteuersysteme so auszurichten, dass sie einen „Clean Business Case“ unterstützen. Mögliche Maßnahmen umfassen kürzere Abschreibungszeiträume für umweltfreundliche Technologien, wodurch Unternehmen ihre Kosten schneller geltend machen können. Zudem sollen Steueranreize geschaffen werden, um hohe Anfangsinvestitionen auszugleichen, sowie Steuergutschriften für Unternehmen in strategischen Sektoren des umweltfreundlichen Übergangs, um Investitionen in dekarbonisierte Verfahren attraktiver zu machen.
4. Kreislaufwirtschaft
Ein entscheidender Bestandteil des Clean Industrial Deal ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft, um Ressourcensicherheit zu gewährleisten und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Drittländern zu reduzieren. Hierzu sind mehrere Maßnahmen geplant: Erstens soll die rasche Umsetzung des Critical Raw Materials Act vorangetrieben werden, um die Versorgung mit strategischen Rohstoffen zu diversifizieren. Eine Plattform zur Bündelung von Nachfragen und zur Lagerhaltung strategischer Rohstoffe soll dabei helfen, Engpässe zu vermeiden.
Zweitens soll die Recycling- und Wiederverwertungsrate durch verstärkte Nutzung von Sekundärrohstoffen gesteigert werden. Der geplante „Circular Economy Act“ soll dafür den Rahmen schaffen, zum Beispiel durch einheitliche Regelungen für Recycling und die Nutzung wiederverwerteter Materialien. Dazu gehören unter anderem verbindliche „End-of-Waste“-Kriterien, die verpflichtende Digitalisierung von Abbruch- und Recyclingnachweisen sowie Vorgaben zur Verwendung von recycelten oder biobasierten Materialien als Ersatz für fossile Rohstoffe.
Drittens sollen die Recyclingkapazitäten innerhalb der EU ausgebaut werden. Geplant sind transnationale Kreislaufwirtschaftszentren, die wirtschaftliche Skaleneffekte nutzen und innovative Recyclinglösungen fördern. Besonders im Fokus steht das Recycling von Batterien. Um den Export von sogenannter Schwarzmasse, die bei der Behandlung der Altbatterien entsteht und die wertvollen Stoffe der Batterien enthält, zu reduzieren, sollen spezielle Maßnahmen erlassen werden. Ergänzend dazu wird die Kommission die in der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltenen Vorschriften über die Regelung für Gebrauchtgegenstände im Rahmen einer Initiative für eine grüne Mehrwertsteuer überprüfen, um das Problem der eingebetteten Mehrwertsteuer in Gebrauchtgegenständen anzugehen.
5. Globale Märkte und internationale Partnerschaften
Zur Stärkung der Resilienz europäischer Industrien plant die EU neue „Clean Trade and Investment Partnerships“. Ziel ist es, Lieferketten zu diversifizieren und den Zugang zu kritischen Rohstoffen sowie sauberen Technologien zu sichern. Der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism - CBAM) soll vereinfacht werden, um Bürokratie abzubauen und Umgehungsstrategien zu unterbinden. Zudem sollen Handelsverteidigungsinstrumente verstärkt eingesetzt werden, um unfaire Subventionen und Wettbewerbsverzerrungen durch Drittstaaten zu bekämpfen.
Im Rahmen der laufenden Überarbeitung der EU-Verordnung zur Prüfung ausländischer Direktinvestitionen (ADI) haben der Rat und das Europäische Parlament die Möglichkeit, den europäischen Investitionsprüfungsrahmen weiter zu stärken. Ziel ist es, Unterschiede zwischen nationalen Prüfmechanismen zu verringern, Belastbarkeitsanforderungen einzuführen und die verschiedenen Ansätze und Strategien besser aufeinander abzustimmen. Dadurch soll das Risiko des sogenannten „Forum Shopping“ minimiert werden.
6. Fachkräfte
Die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte ist ein entscheidender Erfolgsfaktor des Clean Industrial Deal. Die EU wird daher die „Union of Skills“-Strategie einführen, die Weiterbildung und Umschulung intensiviert. Eine europaweite Zertifizierungsinitiative soll berufliche Qualifikationen grenzüberschreitend anerkennen. Ergänzend wird die „Quality Jobs Roadmap“ entwickelt, um faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen und Anreize für nachhaltige Beschäftigung zu schaffen.
Umsetzung des Clean Industrial Deals
Für die Umsetzung des Clean Industrial Deals plant die Europäische Kommission 2025 folgende zentrale Initiativen:
Bewertung
Der Clean Industrial Deal stellt einen entscheidenden Schritt der Europäischen Kommission zur Verknüpfung von Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung dar. Der BDE begrüßt die strategische Ausrichtung des Deals, insbesondere die klare Positionierung zur Kreislaufwirtschaft und ihre starke Priorisierung. Dennoch gibt es einige kritische Punkte und Herausforderungen, die aus Sicht des BDE einer Korrektur bzw. stärkeren Beachtung in der Umsetzung des Clean Industrial Deals bedürfen.
Positiv ist zunächst hervorzuheben, dass die Kreislaufwirtschaft eine zentrale Säule des Clean Industrial Deal darstellt und als Schlüssel zur Ressourcensicherheit sowie zur Reduzierung der Importabhängigkeit erkannt wird. Die geplanten Maßnahmen, insbesondere die rasche Umsetzung des Critical Raw Materials Act und die Einführung des Circular Economy Act, sind essenziell. Einheitliche, verbindliche End-of-Waste-Kriterien können Unsicherheiten abbauen und die Akzeptanz von Sekundärrohstoffen fördern. Die Digitalisierung von Abbruch- und Recyclingnachweisen verbessert die Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette, setzt jedoch eine schnelle und einheitliche Umsetzung voraus. Die Förderung von Kreislaufwirtschaftszentren und der Fokus auf strategisch wichtige Recyclingprozesse, wie Batterierecycling, sind sinnvoll, erfordern aber klare Investitionsanreize.
Besonders positiv zu bewerten sind des weiteren die Reform der öffentlichen Beschaffung, die gezielte Förderung von Sekundärrohstoffen und das geplante EU-Kreislaufwirtschaftsgesetz ab 2026. Diese Maßnahmen könnten die Effizienz des Recyclingmarktes steigern und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringern. Dennoch gibt es erhebliche Herausforderungen.
Äußerst kritisch und bedauernswert ist aus Sicht des BDE jedoch das Fehlen gezielter Schutzmechanismen für das Recycling in der EU. Die Branche steht unter erheblichem wirtschaftlichem Druck durch niedrige Primärrohstoffpreise und starke Konkurrenz aus Fernost. Ohne weitergehende Maßnahmen könnte die europäische Recyclingindustrie im globalen Wettbewerb benachteiligt werden, insbesondere das Kunststoffrecycling. Zudem fehlen steuerliche Anreize für recycelte Materialien. Die geplante Überprüfung der Mehrwertsteuerrichtlinie ist ein erster Schritt, jedoch sollten konkrete steuerliche Vorteile für Sekundärrohstoffe festgelegt werden.
Ein weiteres Problemfeld sind ungelöste Sicherheitsrisiken, insbesondere die durch Lithium-Ionen-Akkus verursachten Brände in Recyclinganlagen. Der CID sieht weder ein Batteriepfandsystem vor, das eine gezielte Rückgabe von Batterien fördern würde, noch einen Fonds, der Hersteller und Inverkehrbringer von Batterien an den Kosten durch Brandschäden beteiligt. Auch für das unter Druck stehende Textilrecycling fehlen gezielte Investitionsanreize und langfristige Strategien zur Förderung nachhaltiger Kreisläufe.
Die Einrichtung einer „Industrial Decarbonisation Bank“ mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro ist ein starker Impuls für nachhaltige Investitionen. Ebenso sind die Erweiterung des Innovationsfonds und gezielte Steueranreize ein sinnvolles Instrumentarium. Der Fonds kann die Transformation energieintensiver Branchen beschleunigen, und Steuererleichterungen für nachhaltige Technologien sind hilfreich, insbesondere kürzere Abschreibungszeiträume. Allerdings sollten Kreislaufwirtschaftsprojekte explizit berücksichtigt werden. Momentan liegt der Fokus stark auf CO2-armen Technologien und Energie, weniger auf Ressourceneffizienz. Zudem fehlt Klarheit zur Mittelverteilung, da unklar bleibt, wie und in welcher Geschwindigkeit Investitionen getätigt werden. Schnelle und pragmatische Lösungen sind erforderlich.
Die hohen Energiepreise sind eine der größten Herausforderungen für die europäische Industrie. Die Pläne zur Senkung der Stromkosten durch PPAs, CfDs und Steuererleichterungen sind positive Signale. Die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für Erneuerbare-Energien-Projekte kann helfen, die Strompreise zu senken, und das „European Grids Package“ unterstützt den Netzausbau und steigert die Effizienz. Allerdings fehlt eine klare Priorisierung energieeffizienter Technologien in der Abfall- und Recyclingbranche, denn energieintensive Prozesse, wie das Kunststoffrecycling, benötigen gezielte Unterstützung.
Der BDE unterstützt die Stärkung von Handelsabkommen und die Vereinfachung des CBAM, um fairen Wettbewerb sicherzustellen. Clean Trade and Investment Partnerships können die Rohstoffsicherung und den Zugang zu Technologien verbessern, während eine stärkere Investitionsprüfung europäische Unternehmen vor unfairer ausländischer Konkurrenz schützt. Allerdings muss die CBAM-Vereinfachung praktikabel sein, da Bürokratieabbau nicht zu neuen Schlupflöchern führen darf. Zudem sollten Recyclingprodukte und Sekundärrohstoffe bevorzugt behandelt und besonders geschützt werden, um den Materialkreislauf in Europa zu stärken.
Der Clean Industrial Deal bietet eine wichtige Grundlage für die nachhaltige Transformation der Industrie in Europa. Der BDE begrüßt insbesondere die hohe Priorisierung der Kreislaufwirtschaft, sieht jedoch Verbesserungspotenzial in der gezielten Förderung von Recycling und Ressourceneffizienz. Verbindliche Mindestrezyklateinsatzquoten für Stoff- und Abfallströme, bei denen die Märkte noch nicht richtig funktionieren und keine ausreichende Nachfrage nach Rezyklaten besteht, können die Nutzung von Sekundärrohstoffen ankurbeln. Steuerliche Erleichterungen und geringere Abgaben für nachhaltige Produkte könnten ebenfalls positive wirtschaftliche Effekte erzielen. Insgesamt setzt sich der BDE dafür ein, dass die Kreislaufwirtschaft als integraler Bestandteil des CID weiter gestärkt wird, um eine resiliente und nachhaltige europäische Industrie zu gewährleisten.
Zeitplan