Hintergrund
Der Emissionshandel ist das zentrale Instrument der EU zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. Bisher umfasst er Sektoren wie die Energiewirtschaft und die energieintensive Industrie, ab 2027 kommen Gebäude und Verkehr unter dem EU ETS II hinzu. Derzeit ist der Abfallsektor noch nicht in den Europäischen Emissionshandel einbezogen, allerdings hat die deutsche Bundesregierung einen deutschen Emissionshandel eingeführt, in dem der Entsorgungssektor bereits einbezogen ist (Gesetz über einen nationalen Zertifikate-Handel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG)).
Bei der letzten Überarbeitung des EU ETS in 2023 (siehe Europaspiegel Oktober 2023) wurde eine erneute Überprüfung für 2026 festgelegt. Außerdem muss die Europäische Kommission nach Art. 30 Abs. 7 der ETS-Richtlinie 2003/87/EG an Rat und Parlament bis 31. Juli 2026 einen Bericht erstatten über die mögliche Aufnahme der Siedlungsabfallverbrennung ab 2028 in das EU ETS, einschließlich der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bis 2030 die Abfallverbrennung aus dem EU ETS auszunehmen.
Das von der Europäischen Kommission im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung mit der Durchführung der Überprüfung beauftragte Beratungsunternehmen arbeitet seit Herbst 2024 an der Vorbereitung des Evaluierungsprozesses. Im ersten Quartal 2025 soll eine generelle Stakeholderbefragung zur Revision des EU ETS durchgeführt werden.
Wesentlicher Inhalt
Die laufende Überprüfung und Folgenabschätzung soll unter anderem analysieren, inwieweit eine Integration des Abfallsektors in das EU ETS machbar ist. Dabei wird nicht nur die Bedeutung eines sektorübergreifenden Beitrags zur Emissionsreduzierung betrachtet, sondern auch untersucht, inwieweit eine Umlenkung von Abfallströmen auf Deponien innerhalb der EU oder gar illegale Ablagerungen in Drittländern zu befürchten sind und wie diese gegebenenfalls verhindert werden können. Zudem wird geprüft, welche Maßnahmen zur Emissionsüberwachung und Durchsetzung erforderlich wären, um eine wirksame Integration sicherzustellen.
Darüber hinaus stehen die potenziellen Auswirkungen auf die Kreislaufwirtschaft im Fokus. Eine steigende Bepreisung von Emissionen könnte die Abfallbewirtschaftungskosten erhöhen, was sich wiederum auf die Gebühren der Bürger auswirken würde. Gleichzeitig könnten jedoch Anreize zur Förderung von Recycling und Abfallvermeidung geschaffen werden. Insbesondere die Auswirkungen auf den Binnenmarkt sowie mögliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen Mitgliedstaaten müssen sorgfältig geprüft werden. Auch der Einfluss auf die relativen Kosten verschiedener Abfallbewirtschaftungsverfahren, insbesondere im Vergleich zwischen Abfallverbrennung, Recycling und Deponierung, wird analysiert.
Ein weiterer zentraler Aspekt der Folgenabschätzung ist die Umweltintegrität. Die Einbeziehung der Abfallwirtschaft in das EU ETS muss mit den Zielen der Kreislaufwirtschaft und den Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie in Einklang stehen. Dabei ist es entscheidend, wie die Emissionen aus der Abfallverbrennung bilanziert werden, insbesondere im Vergleich zu Produkten, die fossilen Kohlenstoff enthalten. Zudem werden unterschiedliche Konzepte zur Regulierung der Emissionen von Müllverbrennungsanlagen in den EU-Mitgliedstaaten untersucht, etwa die Integration in nationale Kohlenstoffpreissysteme oder bestehende Regulierungen der Lastenteilungsverordnung (EU) 2023/857 (Verordnung zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris – Effort Sharing Regulation (ESR)).
Auch die technische Machbarkeit wird in der Folgenabschätzung berücksichtigt. Eine Herausforderung stellt die präzise Erfassung und Berechnung der Emissionen dar, insbesondere im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen fossilen, biomassebasierten und recycelten Abfällen. Ebenso wird geprüft, wie Emissionen aus Deponien, die über lange Zeiträume freigesetzt werden, zuverlässig überwacht und bilanziert werden können. Erst nach einer umfassenden Analyse der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen – insbesondere von Müllverbrennung und Deponierung – wird ein legislatives Überarbeitungskonzept vorgelegt.
Aktuelle Entwicklungen
Ursprünglich war die umfassende Stakeholderbefragung für Februar 2025 angesetzt, allerdings gibt es Verzögerungen im Prozess. Erwartet wird die Erhebung noch für Q1, voraussichtlich im März 2025. Nach der Befragung wird das beauftragte Beratungsunternehmen den Überprüfungsbericht erarbeiten und der Europäischen Kommission präsentieren. Die Europäische Kommission muss ihren Bericht bis Ende Juli 2026 dem Rat und dem Parlament präsentieren und wird darauf aufbauend einen Legislativvorschlag für die Revision und den möglichen Einbezug des Abfallsektors ab 2028 unterbreiten.
Bewertung
Der BDE begrüßt, dass die EU-Institutionen den möglichen Einbezug des Abfallsektors in das EU-Emissionshandelssystem ernsthaft prüfen und eine umfassende Folgenabschätzung vornehmen, bevor legislative Maßnahmen ergriffen werden. Besonders positiv bewertet der Verband die geplante Stakeholderbefragung, an der er sich aktiv beteiligen wird. Eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für Gesetzesvorhaben ist essenziell, um praktikable und wirksame Regelungen zu entwickeln.
Gleichzeitig bringt der aktuelle Zeitplan erhebliche Herausforderungen mit sich. Bereits heute existieren nationale Emissionshandelssysteme in einigen EU-Mitgliedstaaten, die den Abfallsektor erfassen. Dies führt zu einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb des Binnenmarkts, da Unternehmen in diesen Ländern zusätzliche Kosten tragen müssen, während Betriebe in anderen Mitgliedstaaten weiterhin ohne Emissionsbepreisung agieren. Je länger eine einheitliche EU-weite Lösung ausbleibt, desto größer wird der wirtschaftliche Nachteil für betroffene Unternehmen und desto stärker wird der Anreiz zur Verlagerung von Abfallströmen in weniger regulierte Regionen.
Um diesen Wettbewerbsverzerrungen entgegenzuwirken und die Emissionsreduktion auf europäischer Ebene voranzutreiben, setzt sich der BDE für eine konsequente Bepreisung aller fossilen Emissionen aus der Abfallbehandlung ein – einschließlich der Deponierung. Welche konkrete Form diese Bepreisung annehmen sollte, sei es durch den EU ETS I, EU ETS II, eine Steuer oder ein neues Instrument, muss durch die Folgenabschätzung, im Rahmen der umfassenden Stakeholderbeteiligung und letztlich im Rahmen der politischen Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament ermittelt werden. Entscheidend ist, dass die Emissionen aus unterschiedlichen Abfallbehandlungsverfahren konsistent und fair bepreist werden, um Fehlanreize zu vermeiden und die Abfallhierarchie zu wahren.
Der BDE setzt sich für ein Bepreisungssystem aller Treibhausgase (THG) ein, das geeignet ist:
Das System muss nach Auffassung des BDE unter anderem die anlagenspezifische Effizienz und Unterschiedlichkeiten (hinsichtlich Energieeffizienz, Energienutzung und Emissionswerten) sowie die öffentlichen Strukturen im Abfallmarkt, die Planbarkeit der Gebührenkalkulation und die dadurch langfristigen Vertragsstrukturen berücksichtigen. Außerdem müssen die technischen Anforderungen an die Berichterstattung für die Betreiber der Abfallbehandlungsanlagen umsetzbar und EU-weit einheitlich sein – es darf keine doppelten Berichtspflichten geben. Das System muss den Anlagenbetreibern die ausreichende Stabilität und Sicherheit bieten, damit die hohen Investitionen getätigt und Betriebskosten bestritten werden können, um die Dekarbonisierungsziele durch CO2-Abscheideprojekte zu erreichen. Dazu sind die Einnahmen aus der Emissionsbepreisung nach den Vorstellungen des BDE zweckgebunden zur Dekarbonisierung zu verwenden.
Grundsätzlich müssen bei der Gestaltung eines solchen Systems die besonderen Rahmenbedingungen der Abfallwirtschaft berücksichtigt werden. Die Branche erbringt eine essenzielle öffentliche Dienstleistung, die nicht durch starke Preisschwankungen oder übermäßige Kostensteigerungen gefährdet werden darf. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass das System sowohl ökologisch wirksam als auch wirtschaftlich tragfähig bleibt. Daher fordert der BDE einen gezielten Legislativvorschlag, der die spezifischen Anforderungen des Abfallsektors adressiert und eine langfristig stabile, faire, berechenbare und praktikable Lösung gewährleistet.
Zeitplan
• Allgemeine Stakeholderbefragung: Q1 2025, anschließend zielgerichtete Konsultationen
• Veröffentlichung des Überprüfungsberichts: bis 31. Juli 2026 vorgesehen
• Legislativvorschlag für die Richtlinienrevision: voraussichtlich bis Ende 2026