Hintergrund
Der Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission vom Oktober 2023 gilt für Wirtschaftsteilnehmer, die pro Kalenderjahr eine Menge von über fünf Tonnen Kunststoffgranulat handhaben sowie Frachtführer aus der EU und Drittstaaten (Art. 1).
Betroffene Akteure sollen verpflichtet werden, einen Risikobewertungsplan über den Austritt von Kunststoffgranulaten zu erstellen und präventive Maßnahmen zur entsprechenden Eindämmung zu treffen, wobei sich diese an dem konkreten Risiko und der Größe bzw. wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu orientieren haben. Akteure, die jährlich eine Menge von über 1.000 Tonnen handhaben, bedürfen einer behördlichen Zertifizierung (Art. 5).
Wesentliche Inhalte
Bereits bei der Definition von Kunststoffgranulaten (Art. 2 (a)) gehen die Entwürfe auseinander: Kommission und Parlament möchten nur die Verluste aus der direkten Kunststoffverarbeitung von der Verordnung erfasst wissen – nach der Fassung des Rates gilt die Verordnung darüber hinaus für das jedes verarbeitende Gewerbe, also auch bestimmte Granulate aus der Reifen- oder Textilindustrie.
Der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung gilt für Unternehmen, die jährlich eine Menge von über 1.000 Tonnen Granulat handhaben. Die Erwägungen im Umweltausschuss, die Schwelle für eine behördliche Zertifizierung auf 250 Tonnen herabzusenken, haben sich bereits im finalen Parlamentsentwurf nicht durchsetzen können.
Die sachliche Erweiterung der Verordnung auch auf „plastic pellet dust“ (Staub, Pulver, Flocken) wurde auch im Ratsbeschluss übernommen. Dafür schlägt der Rat eine Umsetzungsfrist der Vorgaben für Unternehmen von 36 statt – wie ursprünglich vorgesehen – 24 Monaten vor.
Was das Maß der Verbindlichkeit der gesetzgeberischen Anforderungen an die Risikobewertungspläne angeht, gingen die Entwürfe in Kommission und Rat auseinander. Der Entwurf der Kommission sah in Ahang I Abs. 7 vor, dass die Wirtschaftsakteure bei der Aufstellung ihrer Pläne bestimmte Maßnahmen, wie etwa den Einsatz von Filtersystemen und bestimmten Auffangvorrichtungen in Erwägung ziehen sollten („shall consider”). Nach dem Wortlaut der Parlamentsfassung wären sämtliche Maßnahmen verpflichtend gewesen (“shall include”).
Der Vorschlag des Rates enthält nunmehr eine Unterscheidung zwischen Maßnahmen, die weiterhin verpflichtend sein sollen und solchen, die bei der Aufstellung „nur“ zu berücksichtigen sind. Letztere sind geregelt in einem neuen Absatz 7a. Verpflichtend bleibt beispielsweise der Einsatz von Staubsaugern für den Innen- und Außenbereich und Abfallbehältern für die Granulate. Das bedeutet, konkrete Umrüstungsmaßnahen sind dann nicht zwingend, wenn ein Verlust von Granulaten bereits auf andere Weise verhindert werden kann.
Akteure sollen beispielsweise (nur) erwägen, Stapelfahrzeuge oder Hydraulikvorrichtungen mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen sowie gegebenenfalls Filter für Kunststoffgranulatstaub zu platzieren.
Verpflichtend bleibt dagegen etwa, dass Verpackungen so ausgestaltet sein müssen, dass sie möglichen Beschädigungen bei Beladung und Transport standhalten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber Ausdruck im Verordnungstext gefunden hat. Es bleibt also dabei, dass den Unternehmen ein großer Gestaltungsspielraum zur Risikobewertung und Prävention offenbleibt. Zudem sind Akteure nach dem neuen Wortlaut auch verpflichtet, Dritte mit Zugang zu ihren Anlagen in den spezifischen Umgang zur Vermeidung von Granulatverlusten einzuweisen.
Praktisch relevant ist vor allem die Möglichkeit für Unternehmen, bereits bestehende nationale Genehmigungen für betroffene Anlagen von der Kommission anerkennen zu lassen. Dies verhindert unnötigen bürokratischen Aufwand.Importeure aus Drittstaaten müssten künftig einen Vertreter zum Austausch mit den Behörden benennen.
Bewertung
Der BDE begrüßt die Positionierung des Rates. Insbesondere stellt sich der Verband gegen die Erwägung des Parlamentes, sämtliche Wirtschaftsakteure gleichermaßen zu konkreten Umrüstungen zu verpflichten. Es ist den Akteuren selbst zu überlassen, wie sie dem Verlust von Kunststoffgranulaten entgegenwirken wollen. Dabei ist zu beachten, dass die kunststoffproduzierenden Unternehmen und insbesondere auch Recyclingunternehmen ein großes wirtschaftliches Eigeninteresse an der Vermeidung von Granulatverlusten haben, da die Granulate schließlich das Produkt sind, mit dem sie ihr Geld verdienen. Die Unternehmen werden mithin aus eigenem Antrieb Maßnahmen ergreifen, um Kunststoffgranulatverlusten vorzubeugen.
Die Diversifizierung von „packaging-“ oder „high-risk-spill locations“ ist vor diesem Hintergrund durchaus sinnvoll. Hier wären im Trilog aber Konkretisierungen vorzunehmen. So enthält die Ratsposition beispielsweise keine Definition von „high-risk-spill locations“. Für Recyclingunternehmen, bei denen Kunststoffgranulate gerade kein Abfallprodukt sind, besteht ohnehin kein erhebliches Risiko solcher Verluste. Dies sollte Anklang in einer entsprechenden Definition finden, um die Branche nicht unnötig mit bürokratischen Pflichten zu belegen.
Insbesondere begrüßt der Verband auch die Ausnahmeregelung, nach der bestehende Umweltmanagementsysteme auf EU-Ebene anerkannt werden können. Gerade für Recyclingunternehmen ist diese Anerkennung von besonderer Bedeutung.
EU-Kommissarin für Umwelt, Wasserresilienz und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft, Jessika Roswall, hat sich bereits offen für die Vorschläge des Rates gezeigt. Insbesondere erachtet auch sie die längere Umsetzungsfrist, als ursprünglich im Kommissionsvorschlag vorgesehen, für sinnvoll. Gegenüber einer Verpflichtung von Transportunternehmen aus Drittstaaten, einen bevollmächtigten Vertreter zu benennen, äußert sie dagegen praktische Bedenken.
Zeitplan
Unmittelbar mit Beginn der polnischen Ratspräsidentschaft geht der Verordnungsentwurf nun in den Trilog. Soweit eine zeitnahe Einigung zwischen Rat und Parlament erzielt werden kann, wird der Entwurf dann in zweiter Lesung im Parlament angenommen. Die Verordnung wird dann voraussichtlich im 2. Halbjahr 2025 veröffentlicht werden.