Hintergrund
In ihrer Rede zur Lage der Union 2023 stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas in den letzten Jahren gelitten habe. Als Reaktion darauf kündigte sie an, dass Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank und zwischenzeitlicher italienischer Ministerpräsident, beauftragt werde, einen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erstellen und darin auch mögliche Verbesserungsmaßnahmen vorzustellen. Dieser Bericht wurde Anfang September der Öffentlichkeit vorgestellt.
Wesentlicher Inhalt
Die Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit der EU fällt im Bericht insgesamt wenig positiv aus: geringes Wachstum, fehlende Innovationskraft und rückläufige Investitionen setzten die EU im globalen Vergleich unter Druck, während China und die USA zunehmend dominierten. Aus diesem Ergebnis extrapoliert Draghi drei konkrete Bereiche, in denen Verbesserungen eintreten müssen, damit Europa im weltweiten Wirtschaftswettstreit nicht vollends zurückbleibt.
Erstens müsse die Innovationslücke zu den USA und China geschlossen werden. Vor allem bei fortschrittlichen Technologien scheitere Europa oft daran, seine Stärken in global wettbewerbsfähige Industrien zu übertragen. Viele Start-ups wanderten deshalb in Drittstaaten ab. Zweitens betont der Bericht die Notwendigkeit eines Plans, der die Dekarbonisierung noch enger mit der Wettbewerbsfähigkeit Europas verknüpft. Insbesondere die hohen Energiepreise belasteten europäische Industrien, sodass eine Balance zwischen ambitionierten Klimazielen und einer wettbewerbsfähigen Industriepolitik erforderlich sei. Drittens macht Draghi auf die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen und digitalen Technologien aus dem Ausland aufmerksam, die Europa anfälliger für geopolitische Instabilitäten machten.
Mario Draghi betont auch die Schlüsselfunktion der Kreislaufwirtschaft für langfristiges Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit. Durch die Förderung von Wiederverwendung, Recycling und Abfallreduktion könne das Kreislaufmodell das Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln, Innovationen vorantreiben und Kosten senken. Der Bericht hebt die Notwendigkeit unterstützender Regulierung, von Investitionen in kreislauforientierte Technologien und einer Harmonisierung regionaler Politiken hervor, um die Zusammenarbeit zu fördern.
Zudem sieht der Bericht die Kreislaufwirtschaft als Quelle für die Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere im Recycling und der Wiederaufbereitung, und als entscheidenden Faktor im Kampf gegen den Klimawandel durch die Reduzierung von CO2-Emissionen. Als Herausforderungen werden hohe Übergangskosten und mangelnde Infrastruktur benannt und es wird betont, dass die Überwindung dieser Hürden entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und ökologische Resilienz der EU-Wirtschaft sei.
Aktuelle Entwicklungen
Mit der Neubesetzung der Europäischen Kommission hat die wiedergewählte Präsidentin Ursula von der Leyen den designierten Kommissaren den Auftrag erteilt, die Erkenntnisse und Empfehlungen von Mario Draghi in ihre politischen Strategien einfließen zu lassen (siehe Artikel im Europaspiegel Oktober 2024). Wie genau diese Forderungen in zukünftigen Gesetzesinitiativen oder politischen Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt jedoch abzuwarten.
Bewertung
Der BDE begrüßt den Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit, der die Kreislaufwirtschaft als Schlüssel für Klimaschutz und Ressourcensicherheit erkennt. Ohne eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wird es unmöglich, effektiven Klimaschutz zu betreiben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern. Insbesondere der Wirtschaftsstandort wird auch durch überbordende Genehmigungsverfahren und Bürokratielasten verschlechtert, daher fordert der BDE eine europäische Kreislaufwirtschaftsagentur, bei der die Administration einfach und zentral geregelt wird.
Auch der Sekundärrohstoffmarkt benötigt stärkere Anreize, da Unternehmen der Kreislaufwirtschaft derzeit oft nicht mit Primärrohstoffherstellern mithalten können. Ein Hebel hierfür wäre, die öffentliche Hand dazu zu verpflichten, verstärkt nachhaltige – d.h. unter Einsatz von Rezyklaten hergestellte – Produkte zu beschaffen. Außerdem muss die europäische Recyclingwirtschaft vor unlauterem Wettbewerb aus Drittstaaten in Form von fälschlicherweise als Rezyklate ausgewiesenen Primärstoffen oder Rezyklaten, die infolge geringer Energiekosten und niedrigerer Umweltstandards erheblich billiger sind, geschützt werden. Dazu könnten Nachweise zum Recyclingprozess und Nachhaltigkeitsanforderungen an Rezyklate und Produkte dienen, so dass Rezyklate und Produkte aus Drittstaaten unter Umweltstandards hergestellt sein müssen, die den in der EU geltenden Standards entsprechen.